· 

Bischof Bätzing: Dialog mit der Gegenwart kein billiger Zeitgeist

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing (Mitte), war in diesem Jahr der Hauptzelebrant bei der Ludgerusprozession. Fotos: Achim Pohl | Bistum Essen
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing (Mitte), war in diesem Jahr der Hauptzelebrant bei der Ludgerusprozession. Fotos: Achim Pohl | Bistum Essen

Mit aufgerissenen Augen verfolgen zwei kleine Mädchen das Schauspiel, das gerade an ihnen vorbeizieht. Sie sind so sehr von den singenden und betenden Menschen fasziniert, dass sie sogar kurzzeitig vergessen, ihr Eis zu essen. „Die tragen einen Sarg mit sich rum“, sagt die eine und zeigt auf den gold-silbern schimmernden Schrein, der gerade an ihnen vorbeigetragen wird. „Dann ist das auf jeden Fall eine Beerdigung“, ist sich ihre Freundin sicher und wendet sich wieder ihrem Eis zu. 


Dass es sich bei der Prozession nicht um eine Beerdigung handelt, sondern um Erfüllung eines fast 900 Jahre alten Gelübdes handelt, können die beiden nicht wissen. Bernhard von Wevelinghoven, der Abt der ehemaligen Benediktinerabtei Werden, hat das Versprechen der jährlichen Umtragung der Gebeine des Heiligen Liudger durch die Straßen der Stadt gegeben, um von Werden eine Hungersnot abzuwenden.


Zum diesjährigen Ludgerusfest am ersten Septemberwochenende reiste der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, nach Essen-Werden, um dem Heiligen Liudger zu würdigen und die traditionelle Prozession mitzugehen. Liudger lebte im 8. Jahrhundert, einer Epoche sozialer und kultureller Umwälzungen:  das römische Reich war untergegangen, die Völkerwanderung hatte eingesetzt. Es war der Beginn eines unruhigen Zeitalters. In seiner Predigt nahm Bätzing Bezug auf jene Zeit und stellte sie der heutigen als Blaupause, auch im Blick „auf unser Ringen um Veränderungen im Synodalen Weg“, gegenüber.

 

„Wir sind dabei, die Schwelle zu einer neuen welt- und glaubensgeschichtlichen Ära zu überschreiten“, sagte Bischof Bätzing zu Beginn seiner Predigt auf dem ehemaligen Abteihof der heutigen Folkwang Universität der Künste. Dies führe zu Unsicherheit und einem Ringen um die richtigen Wege und Entscheidungen. Die Menschen würden darauf auf altbekannte Muster zurückgreifen: „Die einen halten sich an vermeintliche Sicherheiten, andere ziehen sich verängstigt zurück und wieder andere ergreifen die Gelegenheit, die Zukunft aktiv mitzugestalten.“


Die Kirche zur Zeit Liudgers habe sich damals der Aufgabe gestellt, Glaube und Evangelium in eine neue Kultur, in ein neues Umfeld hinein zu bezeugen. „Doch sie hat sich auch selbst verändert, nicht bloß in äußeren Formen, auch durch die Entwicklung ihrer Lehre.“ Ein Prozess gegenseitiger Bereicherung habe eingesetzt, der sowohl die Verwandlung der Kultur durch das Evangelium wie auch ein neues und tieferes Empfangen des Heiligen Geistes aus der Kultur umfasst habe. „Die christliche Missionsbewegung hätte ihr Veränderungspotential kaum zur Geltung bringen können, wenn sie nicht auf die Kultur zugegangen wäre, die sie zu revolutionieren antrat.“


Wie kämen also „durchaus kluge Köpfe“ zu der völlig ungeschichtlichen Behauptung, die Kirche habe keine Vollmacht, ihre Lehre in der Auseinandersetzung mit der Gegenwartskultur zu verändern, denn dies würde Treulosigkeit gegenüber Christus und seinem Evangelium bedeuten. „Ich bin – nicht zuletzt im Blick auf unser Ringen um Veränderungen im Synodalen Weg – entschieden anderer Meinung: Die Weigerung der Kirche, ihr Verhältnis zur Welt zu bedenken, bedeutet nicht Treue zur apostolisch grundlegenden Vergangenheit, sondern sie verrät damit ihre geschichtlich bezeugte stete Durchdringung von Kirche und Welt, die durch ihre gegenseitige Veränderung zu einer beispiellosen Erfolgsgeschichte der Kirche bisher geworden ist“, betonte Bätzing eindrücklich.


Wer sich heute dem Dialog mit der Gegenwart entziehe, ihn programmatisch zurückweise, der „verliert jegliche Möglichkeit, die Gegenwartskultur auch kritisch verändernd zu durchdringen und Menschen von heute für das Evangelium Jesu Christi zu gewinnen.“ Dann wandte sich der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz mit sehr persönlichen Worten an Bischof Overbeck: „Hier darf ich dir, lieber Franz-Josef, einmal großen Dank sagen für dein enormes Engagement in dieser Kirche, für dein Suchen und Ringen.“ Das sei nicht billiger Zeitgeistigkeit, wie immer wieder diffamierend unterstellt werde. „Es ist der beständige Weg der Kirche seit ihren Anfängen.“ Mit spontanem Applaus dankten die Teilnehmenden Bischof Bätzing für seine klaren Worte. 


„Wir gehen in eine Zeitenwende hinein“, sagte der Ruhrbischof am Ende des Gottesdienstes, „die unsere ganze Gemeinschaft betrifft.“ Und er dankte dem Limburger Bischof für dessen Einsatz im Rahmen des Synodalen Wegs. Im Hinblick auf die vierte Synodalversammlung des Synodalen Wegs kommende Woche in Frankfurt erhofft sich Overbeck eine integrative Kirche. „Es gehört zum Katholizismus, alle zu integrieren und nicht auszugrenzen. Das ist katholisch“, betonte er nachdrücklich.
Nach dem Ende des Festgottesdienstes wird es für Christian Toussaint ernst. Der 31-Jährige aus Essen ist zum zweiten Mal als Schreinträger im Einsatz. „Ich finde es spannend, dass es diese Tradition schon so lange gibt“, erzählt der Journalismus-Student. Toussaint freut sich darüber, „dass sich der Glaube nicht hinter dicken Kirchenmauern verschanzt, sondern auf die Straßen der Stadt hinausgetragen wird.“ Für ihn ist diese Prozession auch ein Statement, ein klares Zeichen: „Uns gibt es noch. Und wir haben noch eine Relevanz in der Welt“, betont der BDKJ- Vorsitzender des Diözesanverbands Essen, bevor er sich neben eine der vier viereckigen Alu-Stangen, die mit lila-schwarzen Postern ummantelt sind, aufstellt. Auf Kommando heben sich vier Träger den 80 Kilogramm schweren gold- und silbrig schimmernden Schrein aus dem 17. Jahrhundert auf die Schultern. Und führen die Prozession an. (Text: Jürgen Flatken | Bistum Essen)

Download
Die Predigt von Bischof Georg Bätzing im Wortlaut
220905_Predigt Bischof Georg Bätzing.pdf
Adobe Acrobat Dokument 168.3 KB